PEGIDA und andere Nazis – Was läuft falsch im Antifaschismus?

Autor: Peter Andreas Schöbel

An einem Wochenende Mitte Januar traf sich das Bündnisses „Nazifrei – Dresden stellt sich quer“, um Bilanz zu ziehen und sich strategisch besser auszurichten. Den Bericht dazu findet man in der Jungen Welt vom 20. Januar 2016. Dem Bündnis ist ohne Zweifel viel Positives im Kampf gegen den wiederaufkommenden Faschismus, den man in Bundesdeutschland lieber Nazismus nennt, zu danken. Gleichzeitig muss festgestellt werden, dass der große Erfolg ausgeblieben ist. Sicher ist es gelungen, einen der größten Aufmärsche der Neofaschisten zum 13. Februar etwas zu bremsen. Aber gerade die Gegendemonstrationen gegen PEGIDA gleichen doch mehr dem Hornberger Schießen. Ein nennenswerter Erfolg ist nicht zu verzeichnen.

Bei der Konferenz wurden dem Bericht nach viele wichtige Umstände treffend beleuchtet, wie zum Beispiel die klandestine Unterstützung durch maßgebliche Teile des Staates, insbesondere des Sächsischen. Einige wichtige, grundlegende Fragen, konnte ich aber in den Berichten nicht finden. Nun weiß ich natürlich nicht, ob diese Probleme nicht behandelt wurden oder ob nur nicht darüber berichtet wurde. Zu dem bin ich physisch nicht zu praktischen Konsequenzen in der Lage. Und da ist es schon etwas problematisch sich zu äußern. Es ist halt ein bisschen das gemächliche Raten vom berühmten ruhigen Porte aus. Sei’s d’rum. Vielleich ist es wenigstens als Denkanstoß nützlich.

Wer ist eigentlich ein Nazi (Faschist)?

Diese grundlegende Frage stellen sich meiner Meinung nach Antifaschisten und Linke überhaupt zu wenig. Und wenn sie sich diese Frage stellen, fällt die Antwort meist tief bürgerlich aus und hat wenig sozialistische Sichtweise. Wobei ich hier mit „sozialistisch“ und „Sozialismus“ weniger die DDR-Ansichten meine, wenn gleich diese gerade in dieser Frage oft sehr treffend waren, sondern jene Theorie, von der Friedrich Engels schrieb, dass sie eine Wissenschaft geworden ist.

Fast immer wird der Begriff „Faschist“ oder „Nazi“ an der Ideologie festgemacht, manchmal sogar nur an einer antisemitischen Ideologie. Eine der irren logischen Folgen hiervon ist, dass Juden niemals Nazis oder Faschisten sein können und dass Deutsche zum Faschismus / Nazismus nahezu prädestiniert sind. Man befindet sich damit aber schon im besten Nationalchauvinismus und ist damit in dieser Frage von seinen erklärten Gegner geistig gar nicht mehr so weit entfernt, wie man glaubt.

Das Problem wird noch größer, wenn man bedenkt, dass Reden und Denken zwei verschiedene Dinge sind. Wer von den PEGIDA-Latschern denkt wirklich so wie Lutz Bachmann? Könnte es nicht sein, dass da einige sind, die sich bloß nicht getrauen angesichts der Situation Kritik anzumelden? Und sollten wir nicht begründet annehmen dürfen, dass Bachmann noch viel schlimmer denkt, als er redet? Also: Da wir nicht in die Köpfe hineinsehen können, können wir auch nicht nach dem Denken einteilen sondern bestenfalls nach dem Reden. Und das scheint mir doch en etwas unsicheres Maß zu sein.

Wonach aber soll man dann den Nazi, den Faschisten vom anständigen Bürger unterscheiden? Nun – um eine marxsche Methode anzuwenden: Man kann den Nazi durch alles Mögliche vom anständigen Bürger unterscheiden. Er beginnt sich selbst zu unterscheiden, in dem er sich entsprechend organisiert und entsprechend agiert.

Und wie organisiert er sich? Er organisiert sich gegen ethnische, religiöse oder durch andere sekundäre Merkmale gekennzeichnete Minderheiten und begünstigt Gewalt gegen diese oder übt sie sogar aus. Und er kaschiert bei seinen Aktionen die wahren sozialen Widersprüche und bedient die Interessen des wohlhabenden Teils der Bevölkerung, üblicher Weise der Finanzoligarchie. Es ist keine Frage, ob Neonazis, Neofaschisten, PEGIDA solche Interessen bedienen. Man kann das als erwiesen ansehen. Die Aufmärsche mit Plakaten, Bühnen und Technik kosten Geld und nicht wenig. Und da reichen Mitgliedsbeiträge nicht aus. Da muss es „Sponsoren“ geben. Es dürfte auch ausgeschlossen sein, dass das klandestine Wohlwollen von einflussreichen Teilen des Staates den Unterschichten und deren Problemen gehört.

NPD, PEGIDA und Co. bedienen unzweifelhaft die Interessen der Kapitaleigner. Wer immer auf Migranten, Linke, Gewerkschaften, Hartz IV-ler usw. drückt, drückt Löhne. Und wer Löhne drückt, erhöht die Profitrate. Das Shareholder-Value dankt es Euch! Denn mit Hartz-IV, das die soziale Abrissbirne „SPD“ eingeführt hat, war das Ende der Fahnenstange fast schon erreicht. Und auch eine „Groko“ konnte mit Griechenland-Bashing und Ukraine-Konflikt nur noch wenig bessern. Da kommen Migranten wie gerufen. Einerseits hat man einen Ersatzfeind und andererseits billigste Arbeitskräfte, die noch billigere Arbeiten annehmen werden, wenn PEGIDA nur richtig auf die „Integrationswilligkeit“ – sprich „Bereitschaft zur Sklaverei“ – drückt. Das korrespondiert dann hervorragend mit der Kanzlerinnen Willkommenskultur: So spielt man die kleinen Leute gegen einander aus.

Hier tritt übrigens für viele PEGIDA- und Bachman-Nachlatscher das von ihnen unerkannte Paradoxon ein, dass sie mit ihren Demonstrationen genau das befördern, wovor sie Angst haben: ihren sozialen Abstieg. Sie haben vergessen oder nie begriffen: „Denn wer im Stich lässt seines Gleichen, lässt ja nur sich selbst im Stich!“

Auf alles das kann man auch kommen, wenn man über die Dimitroffsche Faschismus-Definition nachdenkt: Er kennzeichnete Faschismus als „terroristische Diktatur der am meisten reaktionären, chauvinistischen und imperialistischen Elemente des Finanzkapitals“.

Unterscheiden wir zwischen Faschist / Nazi und anständigem Menschen also auf Grund des sichtbaren Handelns und nicht auf Grund des unbekannten Denkens. Nicht wer, dumm denkt oder gelegentlich dumm über andere soziale Gruppen quasselt ist ein Faschist / Nazi, sondern wer sich gegen soziale Minderheiten organisiert und diese verfolgt und dabei die Interessen des Großkapital bedient oder zumindest in Ruhe lässt.

Allerdings führt das auch dazu, dass man zwischen den einzelnen Nazi-Gruppen differenzieren muss, so wenig, wie das auch manchem Linken gefällt. Hätte man das in der Sowjetunion und beim Aufbau der DDR nicht getan, hätten Pieck, Grotewohl und Ulbricht die DDR wohl alleine aufbauen müssen und hätte es kein „Nationalkomitee Freies Deutschland“ und darin keinen „Bund Deutscher Offiziere“ gegeben.

In allen braunen Organisationen muss man unterscheiden zwischen: den Nutznießern, die oft auch die Sponsoren sind, den Drahtziehern und verschiedenen Kategorien von Mitläufern, wie Verblendete, Duckmäuser etc. In den heute überreichlich im Fernsehen vorzufindenden Berichten über Hitler wird man sehr suchen müssen, um die Namen seiner Geldgeber zu finden. Wer bezahlte ihm eigentlich sein 12-Zimmer-Appartment in Berlin am Anfang seiner „Karriere“? Er selbst hatte das Geld dazu nicht und auch nicht seine Partei.

Die Methode lautet also: Folge den Geldströmen bis zur Quelle und du entdeckst die Hintermänner. Es ist wie beim NSU. Hier hat „Die Anstalt“ dankenswerter Weise die Geldströme aufgedeckt.

Und was die Mitläufer angeht: Sie sind keine Unschuldslämmer, aber auch nicht die Hauptschuldigen. Es sind Fehlgeleitete, Verführte und Gekaufte, die sich eigentlich gegen sich selbst und ihres Gleichen wenden. Aber so war es schon immer: Das Kapital schafft sich die Arbeiterklasse, dass sie ihm die Arbeit erledigt. Auch die politische Drecksarbeit. In der Novemberrevolution, in der Weimarer Republik, im 1. und 2. Weltkrieg wurden die Interessen des Großkapitals durch Arbeiter realisiert und so schossen Arbeiter auf Arbeiter. Ich erlaube mir den heute so verpönten Begriff „Klassenkampf“ zu benutzen: auch im Klassenkampf kämpfen Arbeiter auf der Seite ihrer eigenen Gegner. Das muss man schon wissen.

Wie bekämpft man Nazis?

Zuerst einmal: Es geht nicht in erster Linie um die Bekämpfung faschistischer Ideologie. Ideologien töten nicht, Ideologien zünden keine Häuser an. Das alles machen Menschen. Sicher: von Ideologien geleitete Menschen. Aber wie kommen diese Menschen zu ihrer Ideologie? Nicht in erster Linie durch Propaganda. Denn so viel faschistische Propaganda hat es nun in Deutschland wahrlich nicht gegeben, dass daraus PEGIDA hätte werden können. Es sind Organisationen, die aus kleinen, und manchmal sehr dummen Ideen große und schlimme Ideologien machen. Es ist der Zusammenschluss, die Organisation die das befördert. Die verschiedensten Ideen findet man immer, sie werden aber erst durch eine Organisation zur Macht. Die kleinen und dennoch schlimmen Ideen haben ihre Ursache in der heutigen Gesellschaft, die im Grunde so beschaffen ist, dass sich jeder selbst der Nächste ist und jeder Andere ein Konkurrent. Dass daraus aber eine verbrecherische Ideologie wird, dazu bedarf es des Zusammenschlusses. Der Kampf gegen Nazis / Faschisten sollte daher in erster Linie ein Kampf gegen deren Organisationen sein. Mit dem Verlust der Organisation reduziert sich die faschistische Ideologie wieder auf ihren Embryonalzustand. Der allerdings ist nur mit dem Kapitalismus überwindbar. Erst eine Gesellschaft in der nicht jeder des Nächsten Teufel ist, kann das bringen. Es geht also primär gegen faschistische Organisationen. Alles andere ist Hilfsmittel. Und also muss man die soziale Struktur dieser Organisationen beachten: Nutznießer und Sponsoren, Strippenzieher, Mitläufer aller Couleur.

Hat man erst einmal begriffen, wer der Gegner ist, ist es einfacher eine richtige Strategie und Taktik zu entwickeln. Es kann also nicht ausreichen, den Nazis am 13. Februar oder den PEGIDA-Latschern das Latschen zu erschweren oder zu vermasseln. Denn erstens findet das Kapital stets neue Leute für die Drecksarbeit, wenn es solche braucht. Und zu dem zieht dann auch noch das doofe Argument: „Seht, ihr werdet verfolgt, also seid ihr im Recht!“ Dieses Argument wird von Verführern aller Art sehr gern benutzt, und möglichst schon im Vorfeld, um dann als erfüllte Prophezeiung den Gestank der Lüge mit dem Geruch von Wahrheit zu übertünchen. Das heißt nicht, dass man sich dem nicht in den Weg stellen sollte. Das ist sicher notwendig, bringt aber keine durchschlagenden Erfolge.

Besser ist schon der Gedanke, sich auch mit den Argumenten und Ideen auch der Gegenseite substantiell auseinanderzusetzen. Sicher ist das ein ideologischer Kampf. Aber er könnte einige Mitlatscher abspenstig machen und andere davon abhalten, sich ihnen anzuschließen. Das hätte schon Wirkung auf die Entwicklung von Naziorganisationen. Auch das ist wichtig, auch um nicht selbst theoretisch auszurutschen. Aber auch das wird nicht den großen Durchbruch bringen. Dummköpfe finden sich immer. Einstein hat schon recht, als er gesagt haben soll: „Es gibt zwei Dinge, die sind unendlich: das Weltall und die menschliche Dummheit. Aber bei Weltall bin ich mir nicht sicher.“ Es sind durch Aufklärung Erfolge möglich, aber nicht der große Durchbruch. Im 2. Weltkrieg wurde mit Flugblättern und Frontbeauftragten versucht, Soldaten vom sinnlosen kämpfen abzuhalten. Die Erfolge waren eher mäßig, obwohl es damals um das nackte Leben ging. Aber es gab Erfolge: Greifswald und Rügen wurde beispielsweise kampflos übergeben.

Was aber tun, wenn man sich einerseits den Latschern praktisch und ideologsich in den Weg stellen muss, andererseits das keinen entscheidenden Erfolg bringen kann? Nehmen wir hier Anleihe beim Militär, auch wenn das heute verpönt ist. Ein guter Feldherr war nie, wer seine Hauptaufgabe darin sah, jeden Gegner zu bekämpfen. Das war die Aufgabe der Unteroffiziere. Den Feldherrn ging es darum die Schlacht zu gewinnen. Dazu musste er die Kommandopunkte der Gegners besiegen. Wem es gelang die Organisationsstrukturen und insbesondere die Führungszentren des Gegners auszuschalten, der hatte am Ende gesiegt, nicht der, der möglichst viele kleine Soldaten umgebracht hatte.

Schlussfolgerung: Wenn es gelingt den Nutznießern, Sponsoren und Strippenziehern das Handwerk zu legen oder wenigstens die Suppe zu versalzen, ist mehr gewonnen als mit jeder direkten Gegendemonstration. Und wie macht man das? Da diese Leute das Licht der Öffentlichkeit scheuen, dürfte der erste vernünftige Schritt sein, das Licht der Öffentlichkeit auf diese zu lenken. Anders gesagt: es ist an der Zeit, das Antifaschisten die Frage: „Wer hat bezahlt? Wer hat das bestellt?“ sachkundig beantworten und die Antwort öffentlich machen. Dazu reichen Vermutungen aber nicht aus. Das bedarf handfester Tatsachen. Damit zwingt man jene Leute in den Ring, die lieber andere für sich arbeiten und kämpfen lassen und die das Arbeiten und Kämpfen mit Sicherheit nicht gewohnt sind. Und wenn dann noch vor deren Haustür Demos abrollen, wird sie das nicht amüsieren. Damit könnte man wohl viel mehr Erfolg haben, als mit Gegendemos gegen ihr Fußvolk. Allerdings soll hier nur geraten sein, den Schwerpunkt zu verlagern und nicht etwa die angeheuerten Mitläufer ungeschoren ziehen zu lassen. Wenn denen aber bewusst wird, wem sie eigentliche hinterherrennen, kann ihnen das auch die Sache etwas unerquicklich machen.

Die Auseinandersetzung mit den falschen Ideen der Nazis darf man keinesfalls aus den Augen verlieren. Das sollte schon integraler Bestandteil sein. Auch wenn das letztlich nicht die entscheidende Frage ist, so wird auch damit sichtbar, worum es eigentlich geht. Hier bedarf es deutlich schärferer Gedanken. So drehten sich die Diskussionen zum 13. Februar 1945 zum Beispiel immer um die Frage: War das nun ein Verbrechen oder ein Kampf gegen Hitler? Zuerst sollte man begreifen, dass das eine das andere nicht ausschließt. Denn der Fall, dass der Gerechte im Krieg weiße Kleidung trägt und auf einem weißen Schimmel daher kommt und nie etwas Unrechtes tut, gehört nun wirklich der Märchenwelt an.

Auch die Frage, war Dresden eine Stadt der Täter oder der Opfer kann nur in der Märchenwelt eindeutig beantwortet werden. Beides war hier vorhanden. Oder will man mir erzählen, dass auch Kleinkinder und Säuglinge den Tätern zuzurechnen wären? Allerdings: die Bombengriffe richteten sich in erster Linie gegen die Wohngebiete der Mitläufer und kleinen Strippenzieher. Das Wohngebiet der großen Strippenziehr und der Nutznießer, der Weiße Hirsch, hatte wahrlich wenige Zerstörungen aufzuweisen. Auch die ökonomisch wichtigen Punkte Bahnhof Friedrichstadt und Industriegelände wurden weitestgehend verschont. Die wurden erst im März und April angegriffen. Damit war der Angriff auf Dresden sicher gegen die Faschisten gerichtet, militärisch aber nicht sehr produktiv. Das muss jedem höheren Militär der Alliierten klar gewesen sein. Der Angriff auf Dresden war damit auf alle Fälle ein frühes Zeichen für die aufkommenden – oder nie ganz verschwundenen – Differenzen zwischen West- und Ostalliierten. Für die Rote Armee bedeuteten die Ergebnisse dieser Angriffe eher ein langsameres, als ein schnelleres Vorankommen. Diese Differenzen scheinen mir gegen Kriegsende immer mehr Gewicht gegenüber dem gleichzeitig stattfindenden gemeinsamen Kampf gegen Hitler bekommen und die Kriegsführung bestimmt zu haben. Letztlich scheinen mir Bombardements gegen Zivilbevölkerungen auch ein typisches Merkmal der Kriegsführung Großbritanniens und der USA, wie überhaupt imperialer Kriegsführung zu sein. Sie leisten in militärisches Hinsicht wenig und sind im Grunde Machtdemonstrationen und menschenverachtend. Das stellt sie im Falle Dresdens zwar nicht auf eine Stufe mit Hitler und dem Faschismus, aber doch ganz deutlich ins Abseits. Und das ändert auch nichts an der Frage der Kriegsschuld überhaupt. Wie gesagt: Kriege sind keine Waffengänge hochedler Ritter.

Eine differenzierte, genaue, an den Tatsachen orientierte Auseinandersetzung mit den falschen Parolen der Brauen scheint mir unbedingt notwendig zu sein. Mit Plattheiten und einfachen Urteilen landet man nur zu oft Schiffbruch.

Und eine differenzierte, genaue, an den Tatsachen orientierte Herangehensweise in allen Fragen ist das, was mehr gebraucht wird. Am persönlichen Einsatz, am guten Willen und guten Absichten der Antifaschisten hat es wahrlich nicht gemangelt.