„Alles Imperialisten“ – Eine Antwort auf die Erfindung des Neuimperialismus

Autor: Peter Andreas Schöbel

Schon seit einiger Zeit geistern durch die Tafeln theoretischer Armenspeisung interessante Angebote. Wie immer leicht abgelaufene Produkte für Arme – in diesem Fall für geistig Arme.  Und sind die Tafeln für den leibliche Versorgung armer Menschen durchaus zu akzeptieren (ein Glück für die Bedürftigen, dass es sowas gibt und eine Schande für den Staat in dem es so etwas geben muss), so sind geistige Tafelangebote vollkommen unverdaulich und eine Schande für die Anbieter.

Um welches der vielen schlechten Angebote geht es mir? Es geht um die These, China sei ein imperialistisches Land. Dass diese These genauso falsch gegenüber Russland angewandt wird, soll hier nicht weiter betrachtet werden.

Diese These wird von diversen, auch linken Autoren vertreten. Allerdings scheinen einigen in letzter Zeit ein Lichtlein aufzugehen. Ein Erlebnis der besonderen Art hatte ich dabei mit den Vertreter einer Partei, die ganz besonders auf ihren marxistisch-leninistischen Charakter pocht und (fast) alle anderen für üble Revisionisten hält. Dass eine richtige Position sich nicht zuerst durch besonders ausgefeilte und kluge erscheinende Pamphlete beweist, sondern durch politischen Erfolg und Einfluss, hat sich bis zu jener Gruppe, für die auch eine 5-Promille-Hürde zu hoch aufgelegt wäre, noch nicht herumgesprochen. Und genau im Anschluss an meine Diskussion mit den Vertretern dieser speziellen Gruppe erschien doch glatt von den „theoretischen Köpfen“ dieser Leute ein Pamphlet mit dem schönen Titel „Über die Herausbildung der neuimperialistischen Ländern“, bei dessen Lesen einem doch glatt der Verstand stehen bleibt.

Nun hatte ich eigentlich vor, hier die leninsche Imperialismus-Theorie zu repetieren und so Punkt für Punkt an jenem Artikel nachzuweisen, dass das alles, was diese Herrschaften Superleninisten da von sich geben, horrender Quatsch ist.

Was jenen erwähnten Artikel angeht, so sind seine Hauptfehler im Unverständnis darin zu suchen, wo im Zuge der Konzentration und Zentralisation von Kapital und Arbeit der Übergang zum Monopol als einer ökonomisch-politischen Machtposition und wo der Übergang zum Imperialismus erfolgt. Wer den Artikel liest, wird bemerken, dass dort nationale Befreiungsbewegung und Imperialismus-Entstehung gleich gesetzt werden. Die Herrschaften Superleninisten wollen einfach nicht wahrhaben, dass seit Oktober 1917 die Welt eine andere geworden ist. Auch wenn diese Revolution in Russland eine herbe und zum nicht geringen Teil selbstverschuldete Niederlage erlitten hat. Sie lebt aber in China und Cuba fort und hat Anhänger in vielen anderen Ländern gefunden.

Genauso wenig verstehen sie den fundamentalen Unterschied zwischen einem Staat der mittels eigener Unternehmen die Wirtschaft beherrscht und einem Staat in dem die Großunternehmen den Staat beherrschen, verquirlen die beiden gegensätzlichen System unter dem Stichwort „staatsmonopolistischer Kapitalismus“ und bekommen noch nicht mal mit, wie sehr sie dabei ihren eigenen Definitionen vergessen. Kurz gesagt wird die antikoloniale und nationale Befreiungsbewegung als imperialistische Allüre und Gründung neuer imperialistischer Staaten verleumdet.

Aber was soll das am Ende? Wer so verbohrt und selbstverliebt ist, ist längst der Einsichtsfähigkeit verlustig gegangen. Und den Einsichtswilligen kann ich das eigene Studium auch nicht abnehmen. Schließlich kann ich hier nicht in kurzen Zeilen erreichen, wozu Lenin Jahre gebraucht hat. Allenfalls kann ich hier Neugier wecken auf die leninschen Schriften und nochmals die leninschen Hauptkriterien aufzählen:

  • Bildung privatkapitalistischer Monopole mit Verschmelzung von Industrie- und Bankkapital zum Finanzkapital und Herrschaft der Finanzoligarchie
  • Territoriale und ökonomische Aufteilung der Welt und Kampf um Neuaufteilung
  • Deutliches Überwiegen des Kapitalexportes gegenüber dem Warenexport
  • Parasitismus und Fäulnis (Niedergang) in Ökonomie und Politik

Und um das etwas deutlicher als mit diesen abstrakten Worten darzustellen:

  • Finanzkapital, das ist das was man im Neusprech die Shareholder nennt, Finanzoligarchen sind also jene Superreiche, die nicht als Konzernchefs ihre Vermögen erzielen, sondern aus Aktienbesitz. BMW und Quandt lassen grüßen.
  • Territoriale und ökonomische Neuaufteilung, das sind heute die Regime-Change und Farbenrevolutionen (Nicht aber die Aufnahme der Krim in den Verband der russischen Föderation, womit man genau einem solchen, antirussischen Neuverteilungsversuch eines strategisch entscheidenden Stützpunktes zuvor kam).
  • Der Kapitalexport hat heute solche Ausmaße angenommen, dass z. B. Griechenland aber auch viele afrikanische Länder unter der Schuldenlast fast zusammenbrechen und viele Länder sich nur noch über Wasser halten, in dem sie zur Begleichung alter Schulden neue Schulden aufnehmen.
  • Parasitismus und Fäulnis: Man schau sich nur an, wie sehr sich Wirtschaftsentwicklung und technische Entwicklung gerade in den Hauptländern des Westens verlangsamen. Einsame Spitze ist dabei Deutschland: eine Internet von Kosten und Leistung weit hinter dem Mond, die ehemals technisch führende Rolle in vielen Zweigen vollkommen eingebüßt. Die deutlichsten Beispiel der letzten Zeit sind: BER, Elbphilharmonie, Dresdner Waldschlößchenbrücke – und das sind nur die Spitzen des faulenden Eisbergs. Dazu kommen noch die stagnierenden Einkommen und die Vergrößerung der Zahl der Armen.

Und nun schauen wir nach China. Sicher kein Paradies und sicher auch kein Ort der Unfehlbarkeit, aber ein Ort des ökonomischen und sozialen Fortschritts und vor allem eine Bastion des Weltfriedens.

  • 2000 lebten in China noch rund 200 Mio. Menschen unter der Armutsgrenze, heute diskutiert man, ob es noch 20, 40 oder 50 Mio. sind. Und das bei steigender Armutsgrenze durch Lohnwachstum.
  • Die durchschnittlichen Löhne sind in China in dieser Zeit auf ein mehrfaches gewachsen. Einige Statistiken sprechen von dem Dreifachen. Sicher ersaufen auch in chinesischen Dorfteichen Kühe bei einer durchschnittlichen Wassertiefe von einem Meter. Aber man schaue sich mal das deutsche Durchschnittseinkommen an, dessen Wachstum deutlich hinter der Inflationsrate hinterherhumpelt – im Gegensatz zu China.
  • China hat nach wie vor ein deutliche höheres Wirtschaftswachstum als Deutschland, wenngleich auch dieses gesunken ist. Dessen Höhe (über 6%) würde aber in Deutschland Höhenangst erzeugen. Zudem ist die Senkungen dem Ausbau des Binnenmarktes geschuldet. Hier würde der Deutsche fragen: „Binnenmarkausbau – gibt’s sowas wirklich?“ Dieses Wachstum ist also weit mehr realwirtschaftlich als finanzwirtschaftlich basiert.
  • Deutschland hat ca. 100 Superreiche, China hat ca. 200 Superreiche – bei der 7 fachen Bevölkerung. Zudem sind viele von denen Industriekapitalisten und Konzernchefs, während die deutschen Superreichen überwiegend Aktionäre sind, die wenig mit dem tatsächlichen Geschäftsbetrieb zu schaffen haben. Die deutschen Supereichen sind größtenteils Kupon-Abschneider, die selbst zum Geldzählen zu faul sind und das andere für sie machen lassen.
  • Die größten chinesischen Banken sind Staatsbanken, in Deutschland und überhaupt im Westen sind das stets Privatbanken. Überhaupt hat der Staat ökonomisch-strategisch über sein Staatseigentum das Sagen und nicht irgendwelche privaten Monopole.
  • China hat auch in technologischer Hinsicht in ca. 5 Jahrzehnten die Entwicklung von der verlängerten Werkbank zu Spitzenplätzen zurückgelegt: unbestritten führend ist es in Solarindustrie, Hochgeschwindigkeits-Eisenbahnwesen, Stahlrohproduktion, Handy- und PC-Produktion. Auch die Einführung der Elektromobilität schreitet voran, auch wenn China hier auf auch die Produktion anderer Länder – wie der USA – setzt. Es produziert übrigens mehr als 20 Typen von e-Autos selbst.
  • Der Warenexport und Warenhandel übersteigt den Kapitalexport um ein vielfaches. Laut Handelsblatt betrugen die chinesischen Investitionen in Deutschland 2016 ca. 13. Mrd. €, der Warenexport nach Deutschland knapp über 90 Mrd. €, der Warenimport aus Deutschland von etwas über 70 Mrd. €. Auch die Weltweiten Investitionen von ca. 500 Mrd. $ liegen deutlich unter den Warenumsätzen. Allein der Warenaustausch mit den USA übersteigt diese Zahl bereits. Auch das Seidenstraßen-Projekt ist ein Projekt des Warenaustausches und der Wirtschaftsverflechtung und kein Projekt des Kapitalexportes oder anderweitigen Einverleibung und Ãœbernahme fremder Wirtschaften. Freihandelsabkommen mit China sind stets lediglich auf die Gleichbehandlung aller ausländischen Anbieter gerichtet. Sie fordern im Gegensatz zu den USA keinerlei Marktanpassungen der Partnerländer.
  • Die Verflechtung und die Investition in Afrika erfolgt – im Gegensatz zu Europa und den USA – vor allem im Infrastrukturbereich und verlangt keinerlei politische Zugeständnisse. Darum schließt Afrika inzwischen viel lieber Verträge mit China als mit den Ländern des Westens. Das konnten auch Obamas und Merkels Afrika-Konferenzen nicht ändern.
  • Auch politisch ist China stets gegen die Einmischung in andere Länder aufgetreten und hat den politischen Status Quo verteidigt. Natürlich lässt es auch keine aggressiven Allüren gegen sich zu: weder im südchinesischen Meer noch sonst wo.

Wer all das zur Kenntnis nimmt: kann der in Bezug auf China noch von einem aggressiven, faulenden, parasitären, absterbenden Staatswesen sprechen? Von Macht des privaten Kapitals?

Bei ein kleinwenig Würdigung der Tatsachen muss man sagen: Das ist etwas ganz anders als das was sich im Westen abspielt. Nennt es, wie ihr es wollt. Wenn ihr das hier Imperialismus nennt, dann ist das dort aber keiner. Es sind gegensätzliche Wirtschaftssysteme und gegenläufige Ambitionen. Wie ihr es auch immer nennt: jeder fortschrittliche Intellektuelle, jeder gebildete Arbeiter wird in China ein fortschrittliches, der Zukunft zugewandtes Land sehen, ein Land das dieser Welt gut tut – ganz im Gegensatz zu den Ländern der Nato, der G7 und der EU.

Wer Lenin gelesen und verstanden hat, sollte eigentliche auch das verstehen.